12.04.2018

Ajahn Brahm!

Ajahn Brahm ist ein beliebter buddhistischer Mönch und Lehrer. Er versteht es wunderbar buddhistische Weisheiten auf humorvolle Art zu erzählen.

Die folgenden Geschichten sind aus seinen Büchern "Der Elefant, der das Glück vergass" und "Die Kuh, die weinte".

WAS STIMMT NICHT AM KRANKSEIN?
Bei meinen öffentlichen Vorträgen bitte ich die Zuhörer oft, die Hand zu heben, wenn sie jemals krank gewesen sind. Beinahe jeder meldet sich. Und das beweist, dass es ganz normal ist krank zu sein.
Wenn man Krankheit als etwas wahrnimmt, was nicht "stimmt", sorgt man nur für unnötigen zusätzlichen Stress. Das kann sogar in Schuldgefühle ausarten.
Wieviele von uns fühlen sich schuldig, wenn sie krank sind?
Ein Mönch unseres Klosters litt jahrelang an einer unbekannten Krankheit. Er lag im Bett und war zu schwach, um auch nur in seinem Zimmer herumzugehen. Das Kloster sparte weder Kosten noch Mühe, ihm jede Art der Behandlung zukommen zu lassen. Schulmedizin und alternative Heilmethoden wurden angewendet, aber nichts half. Manchmal dachte er, das es ihm etwas besser ging. Er stand auf, schlurfte schwankend nach draussen und erlitt danach einen Rückfall, der ihn wieder für Wochen schwächte. Manchmal sah er den Tor vor Augen.
Eines Tages erkannte der weise Abt des Klosters das Problem. Er ging in das Zimmer des kranken Mönchs. Der sah seinen Abt aus hoffnungsvollen Augen an.
"Ich bin hier im Namen aller Mönche und Nonnen dieses Klosters und aller Laien, die uns unterstützen", sagte der Abt. "Im Auftrag aller dieser Menschen, die dich lieben und sich um dich kümmern, gebe ich dir die Erlaubnis zu sterben. Du musst nicht gesund werden."
Bei diesen Worten brach der Mönch in Tränen aus. Er hatte sich doch so grosse Mühe gegeben, gesund zu werden. Seine Freunde hatten so viele Anstrengungen auf sich genommen, um seinen kranken Körper zu heilen, dass er es nicht ertragen konnte, sie zu enttäuschen. Er kam sich wie ein Versager vor und fühlte sich schuldig, dass er nicht gesund wurde. Die Worte des Abts befreiten ihn. Er hatte die Freiheit, krank zu sein, ja, sogar zu sterben. Er musst nicht mehr so schwer kämpfen, um seinen Freunden eine Freude zu machen. Er weinte aus lauter Erleichterung.
Und was glauben Sie, was dann passierte? Von jenem Tag an erholte er sich und wurde wieder gesund.

AM BESTEN 70 PROZENT
Bevor ich Mönch wurde, war ich Lehrer an einer britischen Highschool. Als ich meinen ersten Mathetest ansetzen musste, fragte ich einen meiner älteren Kollegen um Rat. Er empfahl mir, die Aufgaben nicht allzu schwer zu gestalten, denn wenn der Durchschnitt der Leistungen der ganzen Klasse nur zwischen 30 und 40 Prozent der Maximalpunktezahl liege, würde das die Schüler entmutigen. Sie bekämen das Gefühl, dass Mathe viel zu schwierig sei und würden kapitulieren. Wäre umgekehrt der Test zu einfach und die Ergebnisse lägen bei 90 bis 100 Prozentpunkten, wäre die ganz Prüfung sinnlos.
Schliesslich empfahl er mir, die Arbeit so anzulegen, dass nach Möglichkeit ein Durchschnitt von 70 Prozent erzielt würde. Dies motiviere die Schüler, ihr Bestes zu geben. Anhand der 30 Prozent, die falsch beantwortet wurden, würde ich erkennen können, woran es noch haperte, und das entsprechend in einer der nächsten Unterrichtsstunden aufarbeiten können. Bei der Prüfung ging es also letztendlich zu 70 % um Ermutigung und zu 30 % um Lernerfolg.
Später viel mir auf, dass diese wunderbare Regel fürs Leben überhaupt gilt.

SCHRAUBEN SIE IHRE ERWARTUNGEN RUNTER
Die 70-Prozent-Regel zeigt, warum wir vom Leben nie die vollen 100 Prozent erwarten sollten. Und dass eine gelegentliche Niederlage völlig in Ordnung ist. Wenn Sie eine dreissigprozentige Misserfolgsrate einkalkulieren, werden Sie ein erfülltes, reiches Leben führen. Schliessen Sie dagegen Niederlagen von vornherein kategorisch aus, wird Ihr Leben dermassen stressig, von Angst erfüllt und durchgeplant sein, dass es bald gar keines mehr ist. Schrauben Sie Ihre Erwartungen also lieber auf 70 Prozent runter und fangen Sie an, das Leben zu geniessen.
An unseren Ehepartner haben wir ebenfalls dermassen hohe Erwartungen, dass es ausserordentlich schwerfällt, eine langfristige Beziehung aufzubauen, in der sich beide Partner so angenommen fühlen, dass es ihr persönliches Wachstum fördert. Wenn es Ihr Mann also bloss auf 70 Prozent bringt, sollten Sie ihn unbedingt behalten! Falls allerdings - im umgekehrten Fall - Ihre Frau mit 98 Prozent aufwartet, sagen Sie ihr am besten, sie soll sich mal entspannen und ruhig ein paar Fehler machen, weil Sie sich sonst nämlich von ihr trennen!
Auch Eltern sollten die Erwartungen an ihre Kinder runterschrauben. Schliesslich kann es von hundert Jungen und Mädchen nur die Hälfte unter die besten 50 Prozent der Schule schaffen. Aber auch die Kinder dürfen meines Erachtens von ihren Eltern nicht zu viel verlangen, denn die müssen sich ja ebenfalls noch weiterentwickeln....